Richtlinie des BMF vom 07.10.2021, 2021-0.586.616
1. Teil: Multinationale Konzernstrukturen
1.3. Konzerninterner Leistungsverkehr
1.3.6. Konzernstrukturänderungen

1.3.6.2. Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes

179Für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Konzernreorganisationen gilt Kapitel IX der OECD-VPL. Dabei ist maßgeblich (Z 9.39 OECD-VPL):

  • ob etwas an Wert (zB Wirtschaftsgüter oder eine Geschäftstätigkeit) übertragen wird oder ob bestehende Verträge beendet oder wesentlich neuverhandelt werden, und

  • ob in beiden Fällen zwischen fremden Dritten eine Vergütung dafür vereinbart worden wäre.

180Im Rahmen von Konzernreorganisationen können typischerweise körperliche Wirtschaftsgüter (zB Maschinen, Anlagen oder Lagerbestände), immaterielle Werte und Rechte (zB Patente, Marken, Know-how oder Kundenlisten) oder Geschäftstätigkeiten ("ongoing concern") übertragen werden. Übertragung einer Geschäftstätigkeit, dh. einer funktionierenden, wirtschaftlich integrierten Geschäftseinheit, bedeutet in diesem Zusammenhang die Übertragung von Vermögenswerten, zusammen mit der Fähigkeit zur Ausübung bestimmter Funktionen und zur Übernahme bestimmter Risiken (Z 9.68 OECD-VPL). Die Übertragung einer Geschäftstätigkeit im Sinne der OECD-VPL ist jedenfalls vom Anwendungsbereich des § 6 Z 6 lit. a EStG 1988 erfasst (Überführung eines (Teil-)Betriebs).

181Die Gründe einer Konzernreorganisation sind zu dokumentieren. Werden Synergieeffekte (Rz 200) angestrebt, sind diese zu erläutern und zu begründen. Die Beweggründe für die Übertragung oder Übernahme signifikanter Risiken sowie die Evaluierung der Auswirkung der Konzernreorganisation auf das Gewinnpotential sind festzuhalten (Z 9.33 OECD-VPL). Gemäß § 3 Z 6 und § 8 Z 2 VPDG-DV sind Umstrukturierungen der Geschäftstätigkeit im Master und im Local File zu dokumentieren (Rz 476 ff). Folgende Fragen geben einen Anhaltspunkt für eine derartige Dokumentation:

  • Um welche Art von Business Restructuring handelt es sich - welche Einheiten (Produktions-/Vertriebseinheiten etc.) bzw. welche geografischen Strukturen (zB weltweit, überregional nur Europa, ausschließlich lokale Einheiten) sind überhaupt betroffen?

  • Wurde vor und nach dem Umstrukturierungsprozess eine Funktions- bzw. Risikoanalyse des abgebenden und des übernehmenden Unternehmens durchgeführt und wurden Feststellungen über Zu- bzw. Abgänge von wesentlichen Vermögenswerten getroffen?

  • Welche Überlegungen wurden iVm der Übertragung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern (inkl. fundierte Beschreibung dieser Wirtschaftsgüter sowie der DEMPE-Funktionen bei immateriellen Wirtschaftsgütern) sowie der Verbindlichkeiten angestellt?

  • Hat die die Funktionen und Risiken sowie die Vermögenswerte übernehmende Gesellschaft überhaupt die entsprechende Kapital- und Personalausstattung, um diese Geschäfte auch tatsächlich durchführen zu können?

  • Übt die funktionsreduzierte Gesellschaft nach der Umstrukturierung immer noch wesentliche Funktionen im Rahmen ihrer geschäftlichen Aktivitäten als Dienstleistung für verbundene Unternehmen aus?

  • Werden dem funktionsreduzierten Unternehmen die tatsächlich verbliebenen Funktionen/Risiken (inklusive jener, welche nicht übertragen wurden und als "profit drivers" angesehen werden können) - dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend - vergütet?

  • Übt die übernehmende Gesellschaft nach der Umstrukturierung ihre Geschäfte zur Gänze oder teilweise - eventuell unter maßgeblicher Einbindung der funktionsreduzierten Gesellschaft - mittels einer Betriebsstätte oder einer Vertreterbetriebsstätte in Österreich aus?

  • Welcher Gesellschaft wurden die Kosten der Umstrukturierung angelastet und wurden (steuerliche) Aufwendungen iVm dem Erwerb von immateriellen Wirtschaftsgütern geltend gemacht? Wurden Bewertungen (Gutachten) iVm der Übertragung von Vermögenswerten erstellt?

  • Wurden iVm der Umstrukturierung Unterlagen erstellt wie zB Feasibility-Studien, geänderte Geschäftspläne/-strategien, Berichte von externen/internen Beratern etc.?

  • Welche Auswirkungen hatte die Umstrukturierung zB auf die leitenden Angestellten (im Hinblick auf Tantiemenregelungen, Verantwortungsbereiche) oder auf das Reportingsystem etc.?

  • Beträgt das erwartete jährliche EBIT des funktionsreduzierten Unternehmens über einen Zeitraum von drei Jahren nach der Übertragung weniger als 50% des jährlichen unternehmensrechtlichen EBIT, das erwartet worden wäre, wenn die Übertragung nicht stattgefunden hätte (Hinweis auf eine allfällige Meldepflicht nach EU-MPfG, Rz 495 ff)?

182Hierbei ist auch zu untersuchen, ob die von der Reorganisation betroffenen Gesellschaften - als fiktiv unabhängige Unternehmen - eine Beteiligung an der Reorganisation hätten verweigern können, weil ihnen geschäftliche Alternativen realistischerweise offen gestanden wären (Z 9.27 OECD-VPL). Gegebenenfalls ist dies bei der Ermittlung einer angemessenen Reorganisationsentschädigung zu berücksichtigen.

183Eine genaue Funktionsanalyse vor und nach der Umstrukturierung ist erforderlich, um die Höhe der Entschädigung zu ermitteln, die der umstrukturierten Gesellschaft zusteht, und um festzustellen, welche Konzerngesellschaft zu dieser Entschädigung nach Fremdverhaltensgrundsätzen verpflichtet ist. Eine Entschädigung ist zu leisten, wenn die Reorganisation sich nachteilig für die betroffene Konzerngesellschaft auswirkt. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn körperliche oder unkörperliche Wirtschaftsgüter übertragen werden bzw. verloren gehen (Rz 180), denn kein unabhängiges Unternehmen wäre bereit, entschädigungslos auf Vermögenswerte zu verzichten.

184Der Umstand, dass sich der Konzern in seinem Gesamtinteresse zu der Umstrukturierung genötigt sah, enthebt nicht von diesem Prüfungserfordernis. Denn der Fremdvergleichsgrundsatz gilt nicht für den Konzern insgesamt, sondern für die einzelne Konzerngesellschaft (siehe zB Z 9.12 OECD-VPL). Die Entschädigungsleistung muss daher den wirtschaftlichen Schaden der von der Reorganisation betroffenen Einzelgesellschaft abgelten.

185Der bloße Umstand, dass befristete Konzernverträge nicht mehr verlängert oder aufgekündigt werden, kann für sich allein keinen Grund für eine Verweigerung einer Entschädigungsleistung darstellen. Umgekehrt besteht aber auch nicht bei jeder Kündigung oder wesentlichen Neuverhandlung automatisch ein Anspruch auf eine Entschädigung (Z 9.78 OECD-VPL). Als Anhaltspunkt für die Notwendigkeit einer solchen Entschädigung dienen zB die jeweils diesbezüglich anwendbaren unternehmens- oder zivilrechtlichen Bestimmungen (Z 9.80 ff OECD-VPL). Wurden in den Verträgen entsprechende Klauseln vereinbart, so sind diese in Hinblick auf die Vertragsdauer und die übernommenen Verpflichtungen auf ihre Fremdüblichkeit zu überprüfen.

Beispiel:

Die Konzerngesellschaft S hat in der Vergangenheit auf ihre Kosten den Marktzugang für den Konzern geöffnet und in diesem Zusammenhang auch langfristig zu amortisierende Investitionen getätigt. Im Rahmen einer Reorganisation von S ist zu berücksichtigen, dass aus der Sicht des Fremdvergleichsgrundsatzes eine Entschädigungsklausel in die Verträge mit S aufgenommen hätte werden müssen (Z 9.78 OECD-VPL). Die Vertragsverhältnisse sind in solchen Fällen - ungeachtet der formalrechtlichen Vertragsformulierungen - als langfristig gültig zu werten, denn ein fremder Dritter würde keine umfassenden Investitionen tätigen, wenn er sich nicht dahingehend absichern würde, dass sich diese auch amortisieren.

186Die durch eine Reorganisation verursachte Übertragung von Gewinnchancen kann sich auf die Bewertung von übertragenen Vermögenswerten oder eines Firmenwerts oder von Entschädigungsansprüchen aus Vertragsänderungen auswirken (Hinweis auf Z 9.40 OECD-VPL). Der Umstand, dass mit der Umstrukturierung nicht nur Gewinnchancen, sondern auch Risiken auf ein anderes Konzernunternehmen übergehen, entbindet nicht von einer Entschädigungsleistung, wenn insgesamt eine Gewinnminderung zu erwarten ist.

Beispiel:

Eine Vertriebsgesellschaft, deren fremdübliche Reingewinnsätze in den letzten fünf Jahren zwischen 5% und 10% vom Umsatz betrugen und bei der keine wesentliche Veränderung in den nächsten Jahren zu erwarten ist, wäre als fremdes Unternehmen nicht bereit, sich ohne entsprechende Entschädigung mit einer Kommissionärsfunktion abzufinden. Denn die Vertriebsgesellschaft hat aufgrund der Rechte, über die sie gemäß der langfristigen Vereinbarung in Bezug auf diese Geschäftsvorgänge verfügt, realistischerweise die Option, eine Umwandlung in ein im Auftrag eines verbundenen ausländischen Unternehmens tätiges risikoarmes Vertriebsunternehmen anzunehmen oder abzulehnen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass damit ein garantierter Gewinn in Höhe von 2% vom Umsatz verbunden ist (siehe in diesem Sinn Z 9.45 ff OECD-VPL).

187Wird beispielsweise im Zuge einer Konzernreorganisation eine inländische Vertriebsgesellschaft zu einer Kommissionärsgesellschaft herabgestuft, ist zu prüfen, ob durch diese Statusveränderung immaterielle (Marketing-)Werte, die in der Vergangenheit geschaffen wurden, auf die Kommittentengesellschaft übergehen. Dies gilt insbesondere für die Marktpräsenz, wenn diese vor der Reorganisation von der inländischen Gesellschaft aufgebaut worden ist. Denn ergibt ein Fremdvergleich mit einer neu gegründeten Kommissionärsgesellschaft, dass die Kosten des Marktzugangs vom Kommittenten (zB dem Hersteller) getragen würden, dann hätte bei einer Umstellung der Funktionen einer Vertriebstochtergesellschaft auf eine bloße Kommissionärsgesellschaft ein Übergang derartiger immaterieller Werte auf den Kommittenten stattgefunden, weshalb Anspruch auf eine Entschädigungsleistung bestünde. Ein Übergang der immateriellen Werte auf den Kommittenten würde nur insoweit nicht stattfinden, als ein Vergleich mit einem branchengleichen fremden Kommissionär ergibt, dass auch dieser die Kosten des Marktzugangs zu tragen hat und daher solche immateriellen Werte ihm zuzurechnen sind. In diesem Fall müsste dies aber der umstrukturierten Konzerngesellschaft entsprechend abgegolten werden (Z 9.64 und 9.104 OECD-VPL).

188Im Fall einer Herabstufung einer inländischen Produktionsgesellschaft zu einem bloßen Lohnfertiger ist beispielsweise zu untersuchen, ob hierdurch ein in der inländischen Produktionsgesellschaft entwickeltes Know-how in entgeltpflichtiger Weise auf die ausländische Konzerngesellschaft übergeht.

189Werden im Zuge einer Konzernstrukturänderung die Vertragsbeziehungen zu (fremden) Kunden einer inländischen Konzerngesellschaft zu Gunsten einer ausländischen Konzerngesellschaft beendet und ist die begünstigte ausländische Gesellschaft nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zur Leistung einer Entschädigung für die erlangten Geschäftschancen verpflichtet (Rz 185), dann gilt diese Verpflichtung auch dann, wenn zwischen diesen beiden Gesellschaften keine vertraglichen Vereinbarungen getroffen worden sind.

190Es entspricht dem Wesen des in Art. 9 OECD-MA verankerten Fremdvergleichsgrundsatzes, dass eine Befolgung von Weisungen der Muttergesellschaft, die sich nachteilig auf die Tochtergesellschaft auswirken, eine angemessene Abgeltung verlangt. Dies gilt auch im Fall von Umstrukturierungen, die sich nachteilig auf die Konzerngesellschaft auswirken. Darauf basierende gewinnerhöhende Berichtigungen durch Ansatz eines Entschädigungsbetrags bei einer von der Konzernstrukturänderung negativ betroffenen Konzerngesellschaft müssen aber auch zu korrespondierenden Berichtigungen im anderen betroffenen Staat führen.

Beispiel:

Die inländische A-GmbH ist die Tochtergesellschaft der im Staat B ansässigen B-AG und hat einen Teil ihrer Produktion an die im Staat C ansässige Gesellschaft C abzugeben. Diese Konzernstrukturänderung geht auf eine neue Konzernstrategie zurück, die von der Konzernspitze, der im Staat P ansässigen P-Corp. angeordnet worden ist. Es steht außer Streit, dass die A-GmbH Anspruch auf eine Entschädigung besitzt. Erzielt aus dieser Umstrukturierung allein die Muttergesellschaft B Vorteile, so wird B diese Entschädigung zu tragen haben; ergibt die Fremdvergleichsprüfung, dass auch die mit der Produktion neu beauftragte Gesellschaft C für die Akquisition dieses Auftrages eine Zahlung zu leisten hat, dann wird die Entschädigungssumme von B und C gemeinsam zu tragen sein. Sollte sich indessen ergeben, dass durch die Konzernstrukturänderung weder B noch C signifikante Vorteile zu erwarten haben und dass die Neuausrichtung der Konzernstrategie vielmehr im Interesse des Gesamtkonzerns von der Konzernspitze aus getätigt worden ist, dann wird die P-Corp. mit der Entschädigungssumme zu belasten sein (Z 9.94 ff OECD-VPL). Findet keine korrespondierende Gegenberichtigung im jeweils betroffenen Ausland statt, wird eine Klärung im Wege eines Verständigungsverfahrens herbeizuführen sein.

191Konzerninterne Transaktionen, die nach einer Konzernstrukturänderung durchgeführt werden, sind genauso am Maßstab des Fremdvergleichsgrundsatzes zu messen, als stünden sie nicht in einem Zusammenhang mit einer solchen Änderung. Dennoch können tatsächliche Unterschiede bestehen, die sich unter Umständen auf die Vergleichbarkeitsanalyse auswirken (Z 9.101 OECD-VPL). Die Situation vor der Umstrukturierung kann zB die realistisch verfügbaren Optionen der umstrukturierten Gesellschaft erhellen (Z 9.120 OECD-VPL).

Beispiel 1:

Im Rahmen eines weltweiten Spezialisierungsprogramms eines Konzerns wird bei der inländischen Produktions- und Vertriebsgesellschaft P die Produktionspalette eingeschränkt, sodass P genötigt wird, den bisher selbst hergestellten Teil ihrer im Inland vertriebenen Konzernprodukte von ausländischen Konzerngesellschaften teuer zuzukaufen. Je nach Sachverhalt kann sich aufgrund der Übertragung von Vermögenswerten oder der Beendigung bzw. Änderung von Verträgen ein Entschädigungsanspruch für P ergeben. Bei der Ermittlung des fremdüblichen Verrechnungspreises für die nach der Reorganisation vertriebenen Konzernprodukte wird in Hinblick auf die realistisch verfügbaren Optionen auch der Verlust der bisherigen lokalen Synergieeffekte berücksichtigt werden müssen.

Beispiel 2:

Die A-GmbH bezieht nach einer Konzernreorganisation die Konzernprodukte nicht mehr von ihrem bisherigen Konzernlieferanten, sondern von einer schweizerischen Konzerngesellschaft, auf die im Zuge der Reorganisation bisher von Österreich aus wahrgenommene Marketingfunktionen übergegangen sind. Durch die Konzernreorganisation vermindert sich die Nettomarge der A-GmbH von bisher durchschnittlich 10% auf 2,5% vom Umsatz. Soweit dieselben Produkte wie vor der Konzernumstellung in Österreich vertrieben werden und die Verrechnungspreise in der Vergangenheit als fremdüblich anzusehen waren, wird sich an den Warenbezugspreisen nichts Wesentliches ändern dürfen, sofern die A-GmbH realistischerweise die Option gehabt hätte, die Waren weiterhin um den ursprünglichen Preis zu beziehen. Der fremdübliche Preis für die nach der Reorganisation aus der Schweiz bezogenen Marketingdienstleistungen wird sich an den Marketingkosten zu orientieren haben, die sich die österreichische Gesellschaft erspart. Es ist jedoch anzuerkennen, dass die Warenbezugspreise so erhöht werden, dass damit die Marketingleistungen abgegolten werden.


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Zusatzinformationen
Gültig ab:
07.10.2021
Betroffene Normen:
§ 6 Z 6 lit. a EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 3 Z 6 VPDG-DV, Verrechnungspreisdokumentationsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 419/2016
§ 8 Z 2 VPDG-DV, Verrechnungspreisdokumentationsgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 419/2016
Art. 9 OECD-MA, OECD-Musterabkommen
EU-MPfG, EU-Meldepflichtgesetz, BGBl. I Nr. 91/2019
Stammfassung:
2021-0.586.616

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
PAAAA-76464