OGH vom 22.02.2023, 10Ob49/22m

OGH vom 22.02.2023, 10Ob49/22m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V*, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 3.777 EUR sA und Feststellung, aus Anlass des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 90/22g-30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom , GZ 1 C 584/20i-24, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C-100/21 des Europäischen Gerichtshofs behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Die Fortsetzung des Rekursverfahrens erfolgt nur auf Antrag.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Klägerin begehrt von der beklagten Fahrzeugherstellerin – soweit im Rekursverfahren noch von Relevanz – die Feststellung der Haftung für jeden Schaden, welcher der Klägerin aus dem Kauf des Audi Q5 quattro TDI, Fahzeugidentifikationsnummer (FIN): * und dem darin verbauten Dieselmotor Typ EA189 zukünftig entsteht. Sie stützt sich auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB und auf einen Verstoß gegen die VO (EG) 715/2007, die auch den Schutz des bloßen Vermögens bezwecke.

[2] 2. Vor dem Europäischen Gerichtshof ist zur Zahl C-100/21 (QB gegen Mercedes-Benz Group AG) ein Verfahren über ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg (Deutschland) anhängig, das deliktische Schadenersatzansprüche von Fahrzeugkäufern gegen die Fahrzeugherstellerin wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zum Gegenstand hat. Das Landgericht Ravensburg legte dem Europäischen Gerichtshof (unter anderem) folgende Fragen vor:

1. Haben Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 auch die Zielrichtung, die Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen zu schützen? Wenn ja:

2. Zählt dazu auch das Interesse eines individuellen Fahrzeugerwerbers, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht konform ist, insbesondere kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist?

Wenn die Vorlagefrage 1 verneint wird:

3. Ist es unvereinbar mit Unionsrecht, wenn ein Erwerber, der ungewollt ein vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verkehr gebrachtes Fahrzeug gekauft hat, zivilrechtliche deliktische Ansprüche gegenüber dem Fahrzeughersteller auf Ersatz seines Schadens, insbesondere auch einen Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, nur ausnahmsweise dann geltend machen kann, wenn der Fahrzeughersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat? Wenn ja:

4. Ist es unionsrechtlich geboten, dass ein zivilrechtlicher deliktischer Ersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller bei jeglichem schuldhaften (fahrlässigen oder vorsätzlichen) Handeln des Fahrzeugherstellers in Bezug auf das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist, gegeben ist?

[…]

[3] In diesem Verfahren wurden am die Schlussanträge des Generalanwalts Athanasios Rantos vorgelegt; eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus.

3. Diese Fragestellungen sind auch für die Beurteilung des im vorliegenden Fall geltend gemachten Schadenersatzanspruchs gegen die Beklagte relevant.

4. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Es ist daher zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung über den gegen die Beklagte geltend gemachten Schadenersatzanspruch bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Rekursverfahren zu unterbrechen (RS0110583).

[6] 5. Nach Vorliegen der Vorabentscheidung wird das Verfahren nur auf Antrag einer Partei fortgesetzt werden. Eine amtswegige Fortsetzung ist nicht erforderlich, weil diese der Disposition der Parteien unterliegt. Diese können daher zum gegebenen Zeitpunkt zunächst selbst ihre Schlüsse aus der dann vorliegenden Vorabentscheidung ziehen (4 Ob 211/08w; 4 Ob 217/17s).

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00049.22M.0222.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.