OGH vom 22.06.2023, 10Ob28/23z

OGH vom 22.06.2023, 10Ob28/23z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. O*, 2. R*, beide vertreten durch die Grasch + Krachler Rechtsanwälte OG in Leibnitz, gegen die beklagten Parteien 1. C*, 2. H*, beide vertreten durch die Holler Fauland Hirschbichler Rechtsanwälte GmbH in Leibnitz, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 107/22k-48, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom , GZ 2 C 1467/19b-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit 864,24 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 144,04 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Kläger, die Beklagten hätten es zu unterlassen in ihr Eigentumsrecht ob des Grundstücks 227 KG * insofern einzugreifen, als über dieses Grundstück zur Erreichung der Lagerhalle auf dem Grundstück 448 der KG * gefahren oder gegangen wird.

[2] Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 258 KG *, bestehend ua aus dem Grundstück 227. Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 338 KG *, bestehend ua aus dem Grundstück 448.

[3] Über das Grundstück 227 der Kläger verläuft ein Weg zum Wohnhaus der Beklagten und weiter zum Grundstück 448 der Beklagten. Dieser Weg über das Grundstück 227 wurde von den Rechtsvorgängern der Beklagten früher mit einem Pferdefuhrwerk, ab den 1960er Jahren mit dem Traktor befahren, um zu einem Haus zu gelangen, das sich damals auf dem (hinsichtlich seines Ausmaßes bis 2015 noch kleineren) Grundstück 448 befand, und verschiedene landwirtschaftliche Ernten dorthin zu bringen, wie zB Heu, gedroschenes Getreide, Trauben, Obst und auch Brennholz. Die Trauben wurden zu Wein gekeltert, den die damalige Eigentümerin im Keller lagerte; auch Most wurde dort gelagert.

[4] Die Eigentümerin verstarb 1976 und vererbte die Liegenschaft an eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, die die Liegenschaft nicht bewohnte, sondern bewirtschaften ließ. Im Jahr 2003 verkaufte die Rechtsvorgängerin die Liegenschaft an einen weiteren Rechtsvorgänger, der das Grundstück 448 im Jahr 2006 an die Beklagten veräußerte.

[5] Im Jahr 2015 suchten die Beklagten um eine Baubewilligung an, um das alte Gehöft auf dem Grundstück 448 abzureißen und eine Lagerhalle zu errichten; die Bauverhandlung wurde jedoch aufgrund der Einwände der Kläger abgebrochen. In weiterer Folge schrieben die Beklagten zwei Teilstücke im Ausmaß von gesamt 344 m² von ihren Grundstücken 450/2 und 452 ab und dem Grundstück 448 zu. Dadurch erweiterte sich das Grundstück 448 von ursprünglich 562 m² auf 906 m². Auf den Teilstücken steht nunmehr teilweise die nach 2015 errichtete Lagerhalle.

[6] In der Halle lagern die Beklagten für ihren Weinbaubetrieb Weintanks und verschiedene Geräte für den Weinbau. Diese Materialien hatten die beklagten Parteien vor Errichten der Halle in ihrem Betriebsgebäude gelagert.

[7] Die Beklagten befahren das Grundstück 227 der Kläger nunmehr auch zum Erreichen der Lagerhalle.

[8] Auf dem Teilstück 2 (Grundstück 452) und auf dem Teilstück 1 (Grundstück 450/2) befand sich vor der Zuschreibung seit den 1980er Jahren ein Weingarten. Die Rechtsvorgänger im Eigentum dieses Weingartens und die Beklagten fuhren (über den streitgegenständlichen Weg auf dem Grundstück 227) zur Nutzung ihres Weingartens seit Errichten der Halle über die Teilstücke 1 und 2 zur Bewirtschaftung dieses Weingartens zu; dies wie es die Arbeiten erforderten, ca einmal die Woche mit PKW und Traktor.

[9] Die Kläger begehren von den Beklagten, es zu unterlassen, in ihr Eigentumsrecht betreffend ihr Grundstück 227 insofern einzugreifen, als über dieses Grundstück zur Erreichung der Lagerhalle auf dem Beklagtengrundstück 448 gefahren oder gegangen werde.

[10] Die Beklagten bestritten und beantragten die Abweisung der Klage. Die Rechtsvorgänger der Beklagten hätten eine Wegedienstbarkeit (Fahrweg) über das klägerische Grundstück 227 zu Gunsten des Grundstücks 448 der Beklagten ersessen, die nicht grundbücherlich einverleibt worden sei. Das Grundstück 448 sei seit jeher landwirtschaftlich genutzt worden. Die Errichtung und die Nutzung der Lagerhalle würden nur eine technische und wirtschaftliche Entwicklung darstellen, die von den Dienstbarkeitsbelasteten hinzunehmen und von ihnen vorhersehbar (Modernisierung und Vergrößerung) gewesen sei. Der Servitutsweg habe seit jeher auch der Bewirtschaftung des Trennstücks gedient, das ursprünglich zum Grundstück 452 gehört habe und im Ausmaß von 344 m² dem Beklagtengrundstück 448 zugeschrieben worden sei. Die Beklagten hätten daher das Wegerecht auch zu Gunsten des Trennstücks ersessen. Durch die Errichtung der Lagerhalle sei aus diesem Grund keine Mehrbelastung des dienenden klägerischen Grundstücks eingetreten.

[11] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (im zweiten Rechtsgang) statt. Es stellte den eingangs gekürzt (und insofern von den Beklagten in der Berufung nicht bekämpften) Sachverhalt fest. Rechtlich folgerte es, dass die Halle erst nach 2015 errichtet worden sei, sodass zu ihr nicht schon früher landwirtschaftlich zugefahren worden sein könne. Das Wegerecht zur Bewirtschaftung des auf den Teilstücken 1 und 2 befindlichen Weingartens könne nicht zum Zufahren zu einer gewerblich genutzten Lagerhalle berechtigen. Die einmal für die Bewirtschaftung einer bestimmten Fläche eingeräumte Dienstbarkeit dürfe nicht einseitig durch weitere herrschende Grundstücke ergänzt werden. Zu einer derartigen Ausdehnung der Dienstbarkeit sei gleichfalls der Ablauf der 30jährigen Ersitzungszeit erforderlich.

[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten (in der Hauptsache) nicht Folge. Die Beklagten würden sich auf zwei verschiedene ersessene Servitutsrechte stützen, nämlich zum einen auf jenes zu Gunsten der herrschenden Grundstücke (bzw Trennstücke) 450/2 alt und 452 alt, die dem Grundstück 448 zugeschrieben worden seien, und zum anderen auf ein ersessenes Servitutsrecht zu Gunsten des herrschenden Grundstücks 448 alt. Jedes dieser ersessenen Wegerechte könne durch Vereinigung auf einen Liegenschaftskörper für sich allein gemäß § 844 ABGB nicht erweitert werden. Ungemessene Dienstbarkeiten seien auf den Zweck ihrer Bestellung einzuschränken. Der Inhalt der ersessenen Dienstbarkeit bestimme sich deshalb nach dem Zweck, zu dem das belastete Grundstück am Beginn der Ersitzungszeit verwendet worden sei. Der aktuelle Verwendungszweck des Grundstücks 448 neu sei durch die von den Beklagten (und ihren Rechtsvorgängern) ersessenen Wegerechte zu Gunsten der Grundstücke 448 alt, 450/2 alt und 452 alt bereits mangels Ablaufs der notwendigen Ersitzungszeit von 30 Jahren für das nun geltend gemachte Wegerecht als Zufahrt zur Lagerhalle nicht gedeckt. Auf die in der Berufung der Beklagten erhobene Tatsachenrüge (zur Häufigkeit und zum Ausmaß der damaligen und nunmehrigen Nutzung des Servitutswegs) sei mangels Relevanz nicht einzugehen.

[13] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die – vom Berufungsgericht nachträglich zugelassene – Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erst- oder an das Berufungsgericht zurückzuverweisen; hilfsweise wird ein Abänderungsantrag gestellt.

[14] In der Revisionsbeantwortung beantragen die Kläger, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1.1. Im Falle der Teilung der herrschenden Liegenschaft erlöschen Grunddienstbarkeiten nur dann, wenn sie von vornherein nur für die Nutzung bestimmter Grundstücke bestimmt waren oder genutzt wurden (RISJustiz RS0013870). Ansonsten stehen die Grunddienstbarkeiten den Eigentümern der Teile der geteilten herrschenden Liegenschaft zu (RS0013871). Durch die Teilung entsteht eine Mehrheit selbständiger Dienstbarkeiten (RS0011665).

1.2. Von diesen Grundsätzen sind auch die Vorinstanzen ausgegangen, wenn sie die nunmehrige Nutzung des gegenständlichen Servitutswegs durch die Beklagten zum Zweck der Zufahrt zur Lagerhalle dahin prüften, ob sie der bisherigen (zum Inhalt der ersessenen Wegedienstbarkeit gewordenen) Bewirtschaftungsart jener Teilflächen des Grundstücks 448 entsprechen, die vor der Teilung den herrschenden Grundstücken 450/2 (Teilstück 1) und 452 (Teilstück 2) zugehörig waren und auf denen sich nunmehr teilweise die Lagerhalle befindet.

2.1. Die Vorinstanzen gingen vielmehr von einer im Bezug auf die Dienstbarkeit unzulässigen Änderung der Bewirtschaftungsart durch die Beklagten dadurch aus, dass die zum Zweck der Zufahrt zu Weingärten auf diesen Teilstücken (fort)bestehende Wegeservitut nun für die Zufahrt zur neu errichteten Lagerhalle genutzt wird.

2.2. Inhalt und Umfang von ersessenen Dienstbarkeiten richten sich danach, zu welchem Zweck das dienende Gut während der Ersitzungszeit verwendet wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Gutes während dieser Zeit benötigte (RS0011664). Die Grenzen der Rechtsausübung sind bei ersessenen Dienstbarkeiten besonders genau zu beachten (RS0011664 [T9]). Wenn sich auch der Umfang der ungemessenen Dienstbarkeit nach den jeweiligen Bedürfnissen des herrschenden Gutes richtet, sind Belastungen des dienenden Gutes infolge Änderung der Bewirtschaftungsart des herrschenden Gutes unzulässig (RS0011691; RS0011720 [T15]). Insoweit ein Begehren über den ursprünglichen Nutzungszweck hinausgeht, zielt es daher auf eine grundsätzlich unzulässige Ausweitung ab (RS0011720 [T24]). Die Frage des Ausmaßes bzw Umfanges einer Dienstbarkeit und die Frage der Grenzen der zulässigen Erweiterung sind regelmäßig einzelfallbezogen und nicht erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0011691 [T11]).

2.3. Eine Überschreitung des dem Berufungsgericht danach zukommenden Beurteilungsspielraums zeigen die Beklagten mit der bloßen Behauptung, dass das „Fahrrecht für den landwirtschaftlichen Betrieb“ auch eine Zufahrt zur neu errichteten Lagerhalle umfasse, nicht auf. Nach dem festgestellten – und insofern auch in der Berufung der Beklagten nicht bekämpften – Sachverhalt fuhren die Beklagten und ihre Rechtsvorgänger vor der Teilung der Grundstücke 450/2 und 452 über den streitgegenständlichen Weg (nur) zur Bewirtschaftung des dort befindlichen Weingartens zu. Aus welchen Gründen ein auf diese Verwendung der herrschenden Teilstücke beschränkter Nutzungszweck (Bewirtschaftung der entsprechenden Flächen des Weingartens) ersessene Dienstbarkeit auch die nunmehrige Nutzungsart (Lagerhalle) erfassen soll, legt die Revision nicht dar. Das Berufungsgericht hat auch den von den Beklagten gewünschten Inhalt der ersessenen Dienstbarkeit nicht „zugestanden“, sondern lediglich die in der Berufung bekämpften Feststellungen als nicht entscheidungsrelevant beurteilt.

2.4. Die Annahme einer über den ursprünglichen Nutzungszweck hinausgehenden und daher grundsätzlich unzulässigen Ausweitung der ersessenen Servitut durch das Berufungsgericht ist somit nicht korrekturbedürftig (vgl etwa 1 Ob 129/19f: Nutzungsänderung von „Talstationsgebäude“ zu „Seminar- und Bildungshaus“). Insbesondere brachten die Beklagten in erster Instanz gar nicht vor, dass die für den (nunmehr erweiterten) Weinbaubetrieb notwendige Lagerkapazität bis zur Teilung bereits bereitgestellt worden wäre (in welchem Fall eine Dienstbarkeit mit einem solchen Inhalt überhaupt erst ersessen worden sein könnte).

2.5. Die von den Revisionswerbern verlangte Interessenabwägung kann in Fällen wie dem vorliegenden, in dem eine erhebliche Ausweitung der Wegbenutzung aufgrund einer gänzlich anderen Bewirtschaftungsart angestrebt wird, keinesfalls zu ihren Gunsten ausschlagen (vgl auch 1 Ob 129/19f). Darüber hinaus führte bereits das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang aus, dass sich die Beklagten auf die in der Berufung genannten, zu ihren Gunsten zu berücksichtigenden (tatsächlichen) Umstände in erster Instanz nicht konkret stützten. Entgegen der Behauptung der Revision wurde von den Beklagten in der Tagsatzung vom (ON 22) im Zusammenhang mit der Vorlage des Lageplans ./7 keinerlei Vorbringen erstattet; die Vorlage einer Urkunde kann ein Prozessvorbringen nicht ersetzen (RS0037915).

3. Auf die konkrete Nutzungsfrequenz des gegenständlichen Weges und die Frage, ob die Beklagten bzw ihre Rechtsvorgänger mit dem landwirtschaftlichen Betrieb nur den Eigenbedarf deckten oder darüber hinaus auch Handel betrieben, kommt es infolge grundsätzlich unzulässiger Änderung der Bewirtschaftungsart nicht entscheidend an, sodass auch die Nichterledigung der diesbezüglichen Tatsachenrüge durch das Berufungsgericht keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens bewirkt. Da auch der Frage, ob die Lagerhalle „gewerblich“ genutzt wurde bzw wird, keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt, bedarf auch die in der Revision dazu behauptete Aktenwidrigkeit keiner weiteren Prüfung (RS0043265).

4.1. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision somit zurückzuweisen.

4.2. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16, T20]). Ein ERVZuschlag gemäß § 23a Satz 1 RATG gebührt aber nur für verfahrenseinleitende, nicht jedoch für fortgesetzte Schriftsätze, unter denen auch alle Rechtsmittelschriftsätze zu verstehen sind (RS0126594).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00028.23Z.0622.000

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