OGH vom 25.04.2023, 10Ob2/23a

OGH vom 25.04.2023, 10Ob2/23a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Präsidentin Hon.Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. C*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH Co KG, *, und 2. V*, Deutschland, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 22.201,76 EUR sA, in eventu 6.000 EUR, in eventu Feststellung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 100/20p30, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 20 Cg 21/18z25, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Das hinsichtlich der zweitbeklagten Partei bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am eingereichten, zu C-100/21 behandelten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

Der Fortsetzungsantrag des Klägers wird, soweit er (weitere) Ausführungen enthält, zurückgewiesen.

II. Dem Rekurs wird hinsichtlich der zweitbeklagten Partei Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird in diesem Umfang aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts gegen die zweitbeklagte Partei als Endurteil zu lauten hat:

1. Die Klageforderung gegen die zweitbeklagte Partei besteht mit 19.326,31 EUR zu Recht.

2. Die Gegenforderung der zweitbeklagten Partei besteht nicht zu Recht.

3. Die zweitbeklagte Partei ist daher (zur ungeteilten Hand mit der Erstbeklagten) schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 19.326,31 EUR samt 4 % Zinsen pa seit Zug um Zug gegen Übergabe des Kraftfahrzeugs VW Tiguan Lounge TDI BMT, Fahrgestellnummer *, zu zahlen.

4. Das Mehrbegehren, die zweitbeklagte Partei sei darüber hinaus schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen weitere 2.875,45 EUR samt 4 % Zinsen pa seit Einbringung der Klage sowie 4 % Zinsen aus 19.326,31 EUR von Einbringung der Klage bis zum Zug um Zug gegen Übergabe des genannten Kraftfahrzeugs zu zahlen, wird abgewiesen.

5. Die zweitbeklagte Partei ist (zur ungeteilten Hand mit der erstbeklagten Partei) schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 9.625,69 EUR (darin 1.534,41 EUR Barauslagen und 1.348,55 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.

6. Die beklagten Parteien sind – die erstbeklagte Partei über die im Teilurteil vom ausgesprochene Ersatzpflicht hinaus – zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die weiteren mit 872,85 EUR (darin enthalten 64,64 EUR Barauslagen und 134,70 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.

Die zweitbeklagte Partei ist (zur ungeteilten Hand mit der erstbeklagten Partei) schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 3.365,75 EUR (darin 994,41 EUR Barauslagen und 395,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz sowie die mit 3.785,20 EUR (darin 1.327,62 EUR Barauslagen und 409,60 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens dritter Instanz zu ersetzen.

Die beklagten Parteien sind – die erstbeklagte Partei über die im Teilurteil vom ausgesprochene Ersatzpflicht hinaus – zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die weiteren mit 495,14 EUR (darin enthalten 99,44 EUR Barauslagen und 25,48 EUR Umsatzsteuer des Verfahrens zweiter und 132,76 EUR Barauslagen und 18,34 EUR Umsatzsteuer des Verfahrens dritter Instanz) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz zu ersetzen.

Text

Begründung

und

Entscheidungsgründe:

[1] Zu dem maßgeblichen Sachverhalt, dem bisherigen Verfahrensgang und der Zulässigkeit des Rekurses (auch hinsichtlich der Zweitbeklagten) wird auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a) verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

I.1. Der Senat hat aus Anlass des Rekurses mit Beschluss vom das Rekursverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über den vom Landgericht Ravensburg (Deutschland) am beim Europäischen Gerichtshof eingereichten, zu C100/21 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

I.2. Nunmehr hat der , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, diese Vorabentscheidung getroffen. Das Rekursverfahren ist daher antragsgemäß fortzusetzen.

I.3. Soweit im Fortsetzungsantrag darüber hinaus auch weitere Ausführungen (Anregung zum Auftrag eines Schriftsatzwechsels „vor der nächsten Verhandlung“) enthalten sind, verstößt dies gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, nach dem auch Nachträge oder Ergänzungen unzulässig sind (RS0041666).

Zu II.:

[5] Der Rekurs ist (auch) hinsichtlich der Zweitbeklagten berechtigt.

[6] II.1.1. Der Kläger begehrt von der Zweitbeklagten aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes, ihn so zu stellen, als hätte er das klagegegenständliche Fahrzeug nicht erworben, konkret die Zahlung von 22.201,76 EUR (Kaufpreis abzüglich vom Kläger angenommenes Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs. Dabei stützte er sich – soweit noch Gegenstand des Rekursverfahrens – auf eine arglistige, in eventu fahrlässige Irreführung durch die Zweitbeklagte und das In-Verkehr-Bringen „gesetzwidriger“ Fahrzeuge. Er brachte insbesondere vor, dass Repräsentanten der Zweitbeklagten um die „Manipulationssoftware“ (die unzulässige Abschalteinrichtung) gewusst hätten. Für das Vorliegen eines realen Schadens sei eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht unbedingt erforderlich; es reiche aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspreche.

[7] II.1.2. Die Zweitbeklagte hält dem entgegen, dass sie den Kläger nicht über vertragsrelevante Umstände getäuscht und aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene verursachten Schäden zu haften habe, deren Verhinderung die übertretene Verhaltensnorm bezwecke. Art 5 VO 715/2007/EG bezwecke nicht die Verhinderung von Vermögensschäden der Fahrzeughalter, sodass diese Bestimmung als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ausscheide.

[8] II.1.3. Wie bereits in der Entscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 65 ff]) näher ausgeführt, reicht die vorhandene Tatsachengrundlage für eine Sachentscheidung aus.

II.1.4. Die Parteien haben zur nunmehr zu beantwortenden Frage, ob die emissionsrechtlichen Bestimmungen Schutzgesetze darstellen, auf die sich der Kläger zur Begründung eines Schadenersatzanspruchs gegen die Zweitbeklagte berufen kann, jeweils Stellung genommen. Dabei erkannte die Zweitbeklagte auch, dass sich der Kläger (unter anderem) auf Art 5 der VO 715/2007/EG als Anspruchsgrundlage für einen Schadenersatzanspruch berief, trat sie dieser Rechtsansicht doch ausdrücklich entgegen. Eine überraschende Rechtsansicht – und damit ein Erörterungsbedarf – liegt nicht vor, wenn sich das Gericht dem Standpunkt des Prozessgegners anschließt (RS0133948). Da das Urteil C100/21 des EuGH der vom Kläger vertretenen Rechtsansicht im Hinblick auf die Eignung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG, einen deliktischen Schadenersatzanspruch zu tragen, entspricht, löst diese Entscheidung des EuGH im vorliegenden Verfahren keinen Erörterungsbedarf aus.

[10] II.2. Die von der Zweitbeklagten vertretene Rechtsansicht kann nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, auch nicht geteilt werden.

[11] II.2.1. Darin beantwortet er die an ihn gestellten Vorlagefragen wie folgt:

1. Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der Richtlinie 2007/46/EG in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind dahin auszulegen, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestatteten Fahrzeug

II.2.2. In seiner Entscheidungsbegründung rekapituliert der EuGH zunächst, dass ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftiger Weise erwarten kann, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 81 unter Hinweis auf C145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54).

[13] Diese ursprünglich (in C145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54) für das Vertragsverhältnis zwischen Fahrzeugkäufer und Händler konstatierte berechtigte Verkehrserwartung ist nach dem Urteil C100/21 auch für das außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller relevant.

[14] Konkret leitet der EuGH aus den Bestimmungen über die Übereinstimmungsbescheinigung (Art 18 Abs 1 und Art 26 Abs 1 der Rahmen-RL [RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeug-anhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46]) ab, dass die Übereinstimmungsbescheinigung „eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt“ (C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 82).

[15] Weiters folgert der EuGH aus den von ihm zitierten unionsrechtlichen Bestimmungen (Art 18 Abs 1, 24 Abs 1 RL 2007/46 über die Übereinstimmungsbescheinigung, Art 46 RL 2007/46 betreffend Sanktionen), dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist (Rn 89).

[16] Auf der Rechtsfolgenseite müssen die Mitgliedstaaten daher einen Anspruch auf Schadenersatz durch den Hersteller des Fahrzeugs vorsehen, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (Rn 91).

[17] In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines solchen Ersatzes durch die betreffenden Käufer wegen des Erwerbs eines solchen Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen (Rn 92), wobei nationale Rechtsvorschriften es dem Käufer nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, einen angemessenen Ersatz des entstandenen Schadens zu erhalten (Rn 93).

II.3.1. Aus der zitierten Entscheidung des EuGH – insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren (vgl EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 23 u 69) – ergibt sich somit, dass ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen kann, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht.

II.3.2. Für diesen Schadenersatzanspruch macht der EuGH grundsätzliche Vorgaben, nämlich in dem Sinn, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten eines Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 91). Dabei handelt es sich somit um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 93), also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss (vgl EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90). Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 92), hier also unstrittig nach österreichischem Recht.

II.3.3.1. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Schadens: Der EuGH betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 91).

[21] Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeug-käufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EGTypen-genehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 84). Damit stellt der EuGH klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist.

[22] Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht. Als Schaden im Sinn des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im vorliegenden Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit.

[23] Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach.

II.3.3.2. Daraus ergibt sich, dass dem Kläger im vorliegenden Fall ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist: Dass das Fahrzeug latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet ist, ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass es mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und auch bei Installation des (vom Kläger abgelehnten) Software-Updates eine unzulässige Abschalteinrichtung weiterhin (in Form des festgestellten „Thermofensters“) vorliegen würde.

[25] In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die Frage, ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs droht, an der objektiven Rechtslage zu messen ist (in diesem Sinn auch BGH , VIII ZR 190/19 Rz 82).

[26] Hier ging der Kläger beim Abschluss des Kaufvertrags davon aus, dass das Fahrzeug den geltenden Normen entsprach; andernfalls hätte er es nicht gekauft. Die Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Klägers stehen mit dem offenkundigen Vertragszweck im Einklang, sodass sich auch die Frage nicht stellt, welche konkreten Kenntnisse der Kläger (über die „Manipulationssoftware“ und ihre Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs bzw die Erfüllung des Vertragszwecks) hatte.

II.3.3.3. Dass die vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist, wurde bereits im Vorlagebeschluss vom zu 10 Ob 44/19x (Pkt 2.1) und in der Entscheidung vom unter Berufung auf die im Vorlageverfahren ergangene Entscheidung des EuGH unter Berufung auf die im Vorlageverfahren ergangene Entscheidung des EuGH (10 Ob 2/23a [Rz 47 f]) klargestellt. Die Zweitbeklagte verstieß also gegen die den Käufer schützenden unionsrechtlichen Vorschriften und handelte somit rechtswidrig.

II.3.3.4. Soll das Zuwiderhandeln gegen eine Vorschrift einen Schadenersatzanspruch auslösen, muss es nach österreichischem Recht jene Interessen verletzen, deren Schutz die Rechtsnorm bezweckt (RS0031143). Da sich der Schutzzweck aus dem Inhalt des Schutzgesetzes ergibt und es teleologisch zu interpretieren ist, um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den in einem konkreten Fall eingetretenen Schaden verhüten wollte (RS008775), ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang im vorliegenden Fall aus den maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen zu ermitteln. Auch insofern ist ihre Auslegung durch den EuGH zu berücksichtigen:

[29] Die genannten Bestimmungen der RL 2007/46 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG bezwecken wie ausgeführt (auch), das Vertrauen eines Käufers auf die Richtigkeit der vom Hersteller ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigung zu schützen. Ein Schaden, der darin besteht, dass die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs eingeschränkt ist und sich das Vermögen des Erwerbers des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs infolge unrichtiger Übereinstimmungsbescheinigung nicht entsprechend den objektiv berechtigten Verkehrserwartungen oder einem von diesen Verkehrserwartungen abweichenden Willen des Erwerbers zusammensetzt, steht folglich im Rechtswidrigkeits-zusammenhang mit den hier gegenständlichen Schutzgesetzen (Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1, Art 46 RL 2007/46 in Verbindung mit Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG).

[30] Der im vorliegenden Fall eingetretene Schaden steht somit auch im Rechtswidrigkeitszusammenhang.

II.3.4. Die Qualifikation des Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG (und der weiteren genannten unionsrechtlichen Normen) als auch die Einzelinteressen des Käufers schützende Norm(en) entspricht im nationalen Recht einem Verständnis als Schutznorm(en) im Sinn des § 1311 ABGB. Eine Haftung wegen einer solchen Schutzgesetzverletzung setzt ein Verschulden voraus (RS0026351), es kommt aber zu einer Beweislastumkehr (RS0026351 [T7]): Der Schädiger hat nachzuweisen, dass ihn an der Übertretung kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]; RS0026351 [T1]). Diesen Beweis trat die Zweitbeklagte nicht an. Der Kläger stützte sich überdies ausdrücklich (auch) auf fahrlässige Irreführung durch die Zweitbeklagte und ihre Kenntnis von der Manipulationsoftware bzw der unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Zweitbeklagte stellte hingegen (bloß) eine vorsätzliche Täuschung und eine Schädigungsabsicht in Abrede. Da die Zweitbeklagte eine bloß fahrlässige Irreführung nicht konkret bestritt, ist eine solche als zugestanden anzusehen (vgl RS0039927 [T12]).

[32] Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch scheitert somit auch nicht an einem mangelnden Verschulden der Zweitbeklagten.

II.3.5.1. Der Schadenersatzanspruch ist primär auf Naturalersatz gerichtet (§ 1323 ABGB). Dem Wiederherstellungsbefehl ist Genüge getan, wenn eine im Wesentlichen gleiche Lage, ein gleichartiger, wirtschaftlich gleichwertiger Zustand („Ersatzlage“) hergestellt wird (RS0030228; RS0060539). Der Geschädigte ist demnach primär so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde (RS0022818; RS0030228 [T7]).

[34] Da ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs einen Anspruch gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 89), wäre primär an eine Beseitigung dieser unzulässigen Abschalteinrichtung zu denken. Eine geeignete Beseitigung dieses Schadens (in Natura) wurde von der Zweitbeklagten aber nicht angeboten (s dazu noch unten ErwGr II.3.6.).

II.3.5.2. Gegenstand des der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Ausgangsverfahrens ist der vom dortigen Kläger geltend gemachte Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (vgl die dritte und fünfte Vorlagefrage, EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 38). Einem so ausgestalteten Ersatzanspruch tritt der EuGH nicht entgegen. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgabe, dass die Sanktionen für Verstöße gegen die Vorschriften der VO 715/2007/EG wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 90 u 93), kann der Ersatz daher – jedenfalls in dem Fall, dass eine (geeignete) Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten wird – in Form einer Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs (Zug-um-Zug-Abwicklung) verlangt werden (vgl auch RS0129706). Dies kommt der – auch nach § 1323 ABGB grundsätzlich vorrangigen – Naturalrestitution am nächsten, weil es die ungewollte Zusammensetzung des Vermögens unmittelbar beseitigt.

II.3.6. Die Behauptung der Zweitbeklagten, durch das von ihr entwickelte Software-Update wäre der vom Kläger als mangelhaft gerügte Zustand (und damit zugleich die ungewollte Zusammensetzung seines Vermögens) beseitigt worden, trifft nicht zu. Wie in der Entscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 70 ff und 81]) ist auch hier als unstrittig zugrunde zu legen, dass die Abgasrückführung beim Fahrzeug des Klägers nach dem angebotenen Software-Update infolge des „Thermofensters“ nur zwischen vier und fünf Monaten des Jahres voll aktiv wäre. Eine solche Abschalteinrichtung, die den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, wäre nach der Rechtsprechung des EuGH gleichermaßen unzulässig (Urteile C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 65 f; C145/20, Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73, 81 ua). Die von der Zweitbeklagten angebotene Maßnahme würde somit auch nicht zur Beseitigung der vorliegenden Unsicherheit hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit und des ungewollten Zustands des Vermögens des Klägers (einem Fahrzeug, bei dem die zulassungsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden) führen, sodass die Weigerung des Klägers, sie durchführen zu lassen, dem geltend gemachten Schadenersatzanspruch nicht entgegen gehalten werden kann.

II.3.7.1. Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er ohne schädigendes Ereignis stünde, ist auch ein Vorteil des Geschädigten, der ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wäre, prinzipiell zugunsten des Schädigers zu buchen (RS0022834; RS0022726). Die schadenersatzrechtliche Vorteilsaus-gleichung ist nach der Rechtsprechung über Einwendung vorzunehmen, wenn Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln, das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursachte und dieser – etwa bei Ersatz des gemeinen Werts – an der beschädigten Sache selbst entstand (RS0022824 [T2]).

II.3.7.2. Im Rahmen der Vorteilsanrechnung ist alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem (ungewollten) Vertrag zu seinem Vorteil hat, also nicht bloß das (zurückzustellende) Fahrzeug selbst, sondern auch seine tatsächliche Nutzung (bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz). Die Rückstellung des Fahrzeugs hat im Rahmen des Zug-um-Zug-Begehrens zu erfolgen, sodass dieser Vorteil keiner besonderen Bewertung bedarf. Der in der Nutzung des Fahrzeugs liegende Vorteil ist nach den in der Entscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 92 ff]) ausführlich dargelegten bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln, sodass darauf verwiesen werden kann.

II.3.7.3. Der Kläger muss sich somit ein – auf Basis einer zeitanteiligen linearen Wertminderung ausgemitteltes – Benützungsentgelt von 7.563,69 EUR im Rahmen des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen, wodurch die Ersatzpflicht der Zweitbeklagten unmittelbar vermindert wird (RS0022726; vgl auch RS0022788 [T4, T5]). Dieser Betrag ist daher vom an den Kläger zurückzustellenden Kaufpreis in Abzug zu bringen, sodass ihm gegen die Zweitbeklagte ein Schadenersatzanspruch von 19.326,31 EUR Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs zusteht.

II.3.7.4. Der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte eines Käufers eines Fahrzeugs lässt es nach dem EuGH unter dem Vorbehalt des Grundsatzes der Effektivität zu, eine ungerechtfertigte Bereicherung des Anspruchsberechtigten zu verhindern (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 94). Da trotz Anrechnung des Nutzungsvorteils eine angemessene Entschädigung gewährleistet ist (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 95) und der Erhalt eines angemessenen Schadenersatzes dadurch auch nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (EuGH C100/21, QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 93), bestehen gegen einen so ermittelten Schadenersatzanspruch auch in unionsrechtlicher Hinsicht keine Bedenken.

II.3.7.5. Da die Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger bereits im Rahmen des Vorteilsausgleichs durch Abzug von der Klageforderung und nicht aufrechnungsweise in Form einer Gegenforderung zu berücksichtigen ist, besteht auch die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht.

II.3.7.6. Der Kläger begehrte die Zahlung zur ungeteilten Hand. Dass die Haftung der einzelnen Haftpflichtigen auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen beruht, steht der Annahme einer („unechten“) Solidarhaftung nicht entgegen (RS0005730; RS0017315; vgl auch RS0017366; RS0107710). Die Beklagten haften somit nicht bloß anteilig, sondern der Anspruch des Klägers gegen die Zweitbeklagte tritt zur Gänze neben jenen gegenüber der Erstbeklagten, was im Spruch entsprechend zu verdeutlichen war.

II.3.8.1. Der Kläger begehrte gegenüber der Zweitbeklagten (Verzugs)Zinsen von 4 % seit Einbringung der Klage. Die Zweitbeklagte wendete dagegen ein, dass Zinsen erst ab Zustellung der Klage zustehen könnten.

II.3.8.2. Ein Anspruch auf Schadenersatz wird erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (RS0023392 [T6]). Da es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt (RS0024386), ist der Zugang der Mahnung, im Fall der Klage also deren Zustellung maßgeblich. Nach dem Akteninhalt wurde die Klage der Zweitbeklagten am zugestellt (ON 3), sodass der Zinsenlauf dem Vorbringen der Zweitbeklagten entsprechend mit diesem Tag anzusetzen und das Zinsenmehrbegehren abzuweisen ist.

II.3.9. Der Kläger begehrte auch die Aufhebung des zwischen ihm und der Erstbeklagten geschlossenen Kaufvertrags. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann dem Vorbringen des Klägers nicht entnommen werden, dass er dieses Begehren auch gegenüber der Zweitbeklagten (zu der er das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses gar nicht behauptet) erheben wollte, sodass darüber hier nicht (neuerlich; s das Teilurteil des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache [10 Ob 2/23a]) abzusprechen ist.

II.4.1. Zusammenfassend war eine Sachentscheidung (auch) hinsichtlich der Zweitbeklagten möglich. Das Klagebegehren besteht im dargelegten Ausmaß zu Recht, sodass dem Rekurs Folge zu geben, der Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichts wie im Spruch ersichtlich abzuändern war.

II.4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, im Berufungs- und Rekursverfahren iVm § 50 ZPO. Zur Begründung des Ersatzanspruchs des Klägers gegenüber der Zweitbeklagten wird auf die Kostenentscheidung des Senats vom in der vorliegenden Rechtssache (10 Ob 2/23a [Rz 129 ff]) verwiesen. Nun steht allerdings fest, dass der Kläger gegenüber beiden Beklagten (im gleichen Umfang) obsiegte, sodass eine Kostenentscheidung über den dort (gegenüber der Erstbeklagten) vorbehaltenen Streitgenossenzuschlag möglich und somit beiden Beklagten der Ersatz der verzeichneten Streitgenossenzuschläge entsprechend den für die jeweilige Instanz geltenden Ersatz- bzw Obsiegensquoten aufzuerlegen ist.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00002.23A.0425.000

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