VfGH 04.10.2023, E1085/2023

VfGH 04.10.2023, E1085/2023

Leitsatz

Auswertung in Arbeit

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein am geborener syrischer Staatsangehöriger, der der Volksgruppe der Araber und der Konfession der Sunniten zugehört. Er wurde im Dorf Kafar Aweed, Gouvernement Idlib, geboren und hielt sich dort bis 2014 auf. Bis zu seiner Ausreise im Oktober 2020 lebte der Beschwerdeführer im Anschluss im Flüchtlingslager Camp Atma, Gouvernement Idlib. Er stellte am im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

3. Die gegen Spruchpunkt I. erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer bereits in Syrien an regimekritischen Demonstrationen teilgenommen habe und auch in Österreich weiterhin an solchen teilnehme. Zudem seien Brüder des Beschwerdeführers – trotz ihrer Stellung als Offiziere – von der syrischen Armee desertiert. Angesichts dieser Umstände werde der Beschwerdeführer im Fall des Kontaktes mit dem syrischen Regime bzw dessen Sicherheits- und Militärbehörden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest festgenommen und einer mit Folter verbundenen Anhaltung zugeführt. Die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative komme schon deshalb nicht in Betracht, weil dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigen rechtskräftig zuerkannt worden sei und sich weder die Tatsachen- noch die Rechtslage maßgeblich verändert habe.

Allerdings habe das Regime bzw dessen Behörden weder in Kafar Aweed noch im Camp Atma, sohin in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, Zugriff auf ihn. Beide Orte kontrolliere nämlich die Rebellengruppe HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham), die der Al Nusra Front nachgefolgt sei. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass er – wie von ihm erstmals vor dem Bundesverwaltungsgericht sehr oberflächlich behauptet – durch Mitglieder der Al Nusra Front (nach einer ersten Weigerung auch unter Anwendung von körperlicher Gewalt) aufgefordert worden sei, für diese zu arbeiten. Auch eine andere Verfolgung drohe ihm in seiner Herkunftsregion, konkret dem Dorf Kafar Aweed bzw dem Flüchtlingslager Camp Atma, nicht. Vor diesem Hintergrund sei dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen, zumal die Sicherheitslage, die Rückkehrsituation und die Erreichbarkeit der Herkunftsregion nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Gewährung von Asyl (anders als im Hinblick auf den subsidiären Schutz) außer Betracht zu bleiben habe. Ausschlaggebend sei nur, ob dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsgebiet Verfolgung drohe; das sei nicht der Fall, weil das – ihn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgende – syrische Regime weder in Kafar Aweed noch im Camp Atma präsent sei.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Leben (Art2 EMRK) und des Verbotes der Folter (Art3 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird vor allem ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht schlüssig dargelegt habe, weshalb es das Vorbringen hinsichtlich der drohenden Verfolgung durch das syrische Regime für glaubhaft erachte, nicht aber die Angaben zu den Rekrutierungsversuchen unter Anwendung körperlicher Gewalt durch die Al Nusra Front.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der den Beschwerdebehauptungen entgegengehalten wird, dass ausschließlich die Verletzung der durch Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte geltend gemacht werde. Da dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt worden sei, vermöge das Bundesverwaltungsgericht nicht zu erkennen, auf welche Art und Weise der Beschwerdeführer durch die Entscheidung in seinen Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK verletzt sein könne. Daher werde die Ablehnung, in eventu die Abweisung der Beschwerde und jedenfalls die Auferlegung der Kosten beantragt.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass dem Beschwerdeführer in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung drohe, weil er vom syrischen Regime auf Grund von Demonstrationsteilnahmen und der Desertation seiner vormals als Offiziere tätigen Brüder zumindest festgenommen und einer mit Folter verbundenen Anhaltung zugeführt werden würde. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes komme diesem Umstand allerdings keine Relevanz im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 AsylG 2005 zu, weil der Beschwerdeführer diese Verfolgung in seiner Herkunftsregion nicht zu fürchten habe. Diese stehe nämlich unter Kontrolle der HTS, weshalb das syrische Regime dort keinen Zugriff auf ihn habe. Ob er seine Heimatregion erreichen könne, ohne mit dem syrischen Regime in Kontakt zu kommen, könne außer Betracht bleiben, weil es hinsichtlich des Status des Asylberechtigten nicht auf die Sicherheitslage, die Rückkehrsituation und die Erreichbarkeit der Herkunftsregion ankomme.

3.2. Diese Rechtsauffassung begründet das Bundesverwaltungsgericht mit einem Verweis auf Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes, mit denen Revisionen zurückgewiesen wurden (vgl ; , Ra 2022/01/0328; in diesem Sinn nach Erlass des angefochtenen Erkenntnisses auch ). Nach diesen Entscheidungen komme "es bei Verneinung einer Verfolgung nach §3 AsylG 2005 für die Klärung des Sachverhalts im Hinblick auf den Asylstatus auf die Erreichbarkeit der Herkunftsregion nicht an" (; , Ra 2022/20/0211).

Vor dem Hintergrund der Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass der Beschwerdeführer im Fall des Kontaktes zum syrischen Regime mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest festgenommen und einer mit Folter verbundenen Anhaltung zugeführt werden würde, vermag der bloße Verweis auf die zitierten Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes nicht hinreichend zu begründen, weshalb eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Herkunftsregion für den Beschwerdeführer ohne Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung erreichbar ist, gänzlich unterbleiben kann. Schließlich könnte sich die vom Bundesverwaltungsgericht festgestellte Gefahr der Verfolgung des Beschwerdeführers auch auf dem Weg in seine Herkunftsregion realisieren. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer in seine Herkunftsregion gelangen kann, ohne dabei der festgestellten asylrelevanten Verfolgung durch den syrischen Staat ausgesetzt zu sein (vgl ).

3.3. Da das Bundesverwaltungsgericht allerdings nur prüft, ob dem Beschwerdeführer in Kafar Aweed bzw im Camp Atma, mithin in seiner Herkunftsregion, Verfolgung droht, jedoch die Frage außer Acht lässt, ob dem Beschwerdeführer ein Weg in diese Region offensteht, auf dem er nicht Gefahr läuft, einer Verfolgung iSd Art1 Abschnitt A Z2 GFK ausgesetzt zu sein, belastet es sein Erkenntnis mit Willkür (vgl hinsichtlich der auf den Herkunftsstaat bezogenen Prüfung auch ).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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Norm:
B-VG
ECLI:
ECLI:AT:VFGH:2023:E1085.2023

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